Mein kritischer Blick auf die Entscheidung über einen inklusiven Arbeitsmarkt am 21. April 2023

Es ist die erste größere behindertenpolitische Initiative der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP in dieser Legislaturperiode, die am Freitag, den 21. April voraussichtlich von 11:40 bis 12:25 Uhr im Plenum des Deutschen Bundestages auf der Tagesordnung steht. Die Rede ist vom Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts, das dann zur Debatte und zur Verabschiedung im Bundestag ansteht. Zuvor wird sich noch der zuständige Bundestagsausschuss am 19. April mit möglichen Änderungsanträgen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung beschäftigen.

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat Mitte November 2022 einen Referentenentwurf für ein neues Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts vorgelegt. Was aber will und was kann der Referentenentwurf wirklich bewirken?

Bereits im November vergangenen Jahres habe ich mich kritisch mit dem Referentenentwurf für das neue Gesetz kritisch auseinandergesetzt. Nicht, weil ich dieses Ansinnen für grundsätzlich falsch halte, sondern weil mir der Entwurf streckenweise nicht weit genug geht, beziehungsweise dieser dadurch teilweise aus meiner Sicht fehlerbehaftet ist.

Das Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt am Arbeitsleben teilnehmen können, ist für eine inklusive Gesellschaft ein mitentscheidender Faktor. Darüber hinaus sollte es vor dem Hintergrund des hohen Fachkräftemangels ein oberstes Gebot sein, Menschen mit Behinderungen darin zu unterstützen, einer Erwerbsarbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachgehen zu können, respektive im Vorfeld auch einen Beruf erlernen zu können.

Das nun vorgelegte neue Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts greift diesen grundlegenden Gedanken auf und will

  • mehr Menschen mit Behinderungen in reguläre Arbeitsplätze bringen,
  • mehr Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen in Arbeit halten und
  • gezieltere Unterstützung und Förderung für Menschen mit Behinderungen ermöglichen.

Prinzipiell lesen wir hier erst einmal nur Gutes. Und in der Tat sind alle drei hervorzuhebenden Punkte im Entwurf erst einmal eine Stärkung der Menschen mit Behinderungen auf und für den ersten Arbeitsmarkt.

Doch da der Wille allein erst einmal nichts bewirken wird, bedarf es auch einem Lösungsansatz. Diesen liefert der Gesetzentwurf mit. Man kann auch durchaus vorwegnehmen, dass es sich für alle Punkte, mit Ausnahme des ersten Punktes, um solide und rechtlich standhafte Lösungen handelt.

LÖSUNGSANSATZ DES REFERENTENENTWURFS

Der Gesetzentwurf weist lediglich fünf wesentliche Ziele auf:

  • Eine erhöhte Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber, die der Beschäftigungs-pflicht von Menschen mit Behinderungen nicht nachkommen (Vierte
  • Staffel). Für kleinere Arbeitgeber will man weiterhin Sonderregelungen anbieten.
  • Die aus der Ausgleichsabgabe entstehenden freien Mittel, sollen konzentriert für die Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt verwendet werden.
  • Einführung einer Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes.
  • Die bisherige Deckelung für den Lohnkostenzuschuss beim Budget für Arbeit soll aufgehoben werden.
  • Der Sachverständigenbeirat für die versorgungsmedizinische Begutachtung soll neu ausgerichtet werden.

Leider bot der Referentenentwurf an dieser Stelle bereits keinerlei Alternativen an und führt aus: „Zur Umsetzung der Ziele sind keine zweckmäßigeren Alternativen ersichtlich.“ Dabei wäre es endlich an der Zeit zur Ausgleichsabgabe eine echte Alternative anzubieten. Die bisherige Regelung sieht lediglich eine Ausgleichsabgabe vor, welche den größeren Unternehmen, die nicht willig sind, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, nicht großartig wehtut und schon gar nicht zu einem Umdenken in ihrer Haltung in dieser Frage einlenken lässt. Da die Abgaberegelung bei kleineren Unternehmen sowieso bereits aufgeweicht wird, hat man hier ebenfalls keinen Umdenkeffekt.

Es ist um ein Vielfaches einfacher, neues Denken und Verantwortung gegen-über Arbeitnehmer*innen gegen einen kleinen Obolus abzugeben.

ALTERNATIVE FÜR DEN UMGANG UND DIE BERECHNUNG DER AUSGLEICHSABGABE

Es ist als positiv zu bewerten, was das Bundesministeriums für Arbeit und Soziales mit einem neuen Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes erreichen will. Dieses muss eine mehrheitliche Unterstützung finden. Und trotzdem ist der nun vorliegende Entwurf zum Thema der Ausgleichsabgabe erstaunlich fantasielos gestaltet.

Es bedarf keiner großen Schritte, um eine Ausgleichsabgabe für nichteinstellungswillige Arbeitgeber*innen von Arbeiter*innen und Angestellt*innen schmerzhafter und dennoch nachhaltiger zu gestalten. Hier kann die prozentuale Berechnung von Ausgleichsabgaben helfen.

Vom Prozent zur Nachhaltigkeit

Viele Behinderten-Aktivisten haben immer wieder einmal eine prozentuale Regelung der Ausgleichsabgabe ins Gespräch gebracht. So auch ich zuletzt bei Selbst Aktiv in der SPD LO Bremen. Eine prozentuale Regelung verspricht eine stärkere Strafzahlung je nach Unternehmensgröße. Zugleich bin ich persönlich der Auffassung, kann man diese Ausgleichsabgaben unter bestimmten Voraussetzungen wieder in die Unternehmen zurückfließen lassen, welche die Abgaben zahlen mussten.

Hierzu benötigt man keine große Umstellung im derzeitigen System, wenn man sich über den Weg einig ist.

Nach den bisherigen Kriterien für eine Ausgleichsabgabe wird anstatt der festen Sätze je nach Unternehmen (hier muss man die Sonderregelungen für kleinere Unternehmen bedenken) nur noch ein Satz für alle Systeme berechnet, welches alle Unternehmensgrößen beinhaltet. Ein prozentualer Satz muss erarbeitet werden und zum Kriterium beinhalten, dass er wirklich als Strafzahlung für jede Unternehmensgröße spürbar ist.

Jedes Unternehmen muss für jeden nicht besetzten bzw. eingerichteten Platz für Arbeitnehmer*innen nun eine Ausgleichsabgabe von X Prozent auf die finanzielle Umsatzstärke des Vorjahres zahlen.

Der nachhaltige Nachgang

Die Ausgleichsabgaben der Unternehmen werden für eine festzulegende Karenzzeit zurückgehalten. Denkbar wären hier 6 oder 12 Monate. In dieser Zeit können die Abgaben wieder von den Unternehmen abgerufen werden. Die Voraussetzungen hierzu beschreibe ich im Anschluss. Erst danach können die nicht wieder abgerufenen Abgaben für die Förderung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem ersten Arbeitsmarkt verwendet werden.

Voraussetzungen für die Rückzahlung der Ausgleichsabgabe an die Unternehmen

Ein Nachhaltigkeitskonzept ist mit wenigen bürokratischen Mitteln aufgestellt. Erklärt ein Unternehmen sich nach der geleisteten Ausgleichsabgabe innerhalb der festgelegten Karenzzeit bereit, doch die entsprechende Anzahl an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung zur Verfügung zu stellen, so bekommt es

  • die geleisteten Abgaben zu einhundert Prozent zurückerstattet, wenn diese finanziellen Mitteln nachweislich in die Schaffung entsprechender Arbeitsplätze (in gleicher Anzahl wie diese vorab gemaßregelt wurden) fließen,
  • kann für jeden darüber hinaus geschaffenen Arbeitsplatz einen noch festzulegenden, rückerstattungsfreien Bonus als Anschubfinanzierung erhalten und
  • erhält kostenlos eine fachliche Beratung und Begleitung für die Schaffung dieser Arbeitsplätze.

Außerdem sollte man in Erwägung ziehen, auch im Zusammenhang mit der Schaffung vor Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen zusätzlich in den Unternehmen folgende zwei Faktoren zu fördern:

  • Wenn es sich dabei um die Übernahme von Arbeitnehmer*innen aus dem zweiten Arbeitsmarkt handelt.
  • Wenn dadurch auch neue Ausbildungsplätze für Menschen mit Behinderungen geschaffen werden können, beispielsweise, weil man Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen beschäftigen kann, die eine Qualifikation zur Ausbildung haben.
Fördern statt Bestrafen

Das Prinzip ist nicht nur einfach, sondern wird sich auch nachhaltig herausstellen. Ziel ist nicht mehr die Strafe, sondern die Förderung durch Unterstützung und Beratung. Für größere bis große Unternehmen ist dieses vielleicht eher noch allein tragbar. Doch vor allem die vielen kleineren Unternehmen, die ein großes Potenzial für Arbeitnehmer*innen mit Behinderungen aus dem zweiten Arbeitsmarkt haben, stehen dann mit der Umsetzung nicht mehr allein da. Er-halten Beratung und Begleitung.

Gleichzeitig schafft man so auch ein positives Klima für die Einstellung von Menschen mit Behinderungen.

Fördern ohne Strafe

Im Umkehrschluss muss dieses aber auch heißen, dass man Unternehmen, die entsprechende Arbeitsplätze zumindest mit

  • einen noch festzulegenden, rückerstattungsfreien Bonus als Anschubfinanzierung fördert und
  • kostenlose fachliche Beratung und Begleitung für die Schaffung dieser Arbeitsplätze anbietet.

Diese Regelung muss für Startups bereits in der Gründungs- und Planungsphase zur Verfügung stehen.

HAUSHALTSAUSGABEN OHNE ERFÜLLUNGSAUFWAND?

Der Referentenentwurf vom November 2022 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales für ein Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts ist in einem Punkt deswegen bemerkenswert, weil der Entwurf insbesondere die Haushaltsaufgaben ohne Erfüllungsaufwand herausstellt.

Zur Einführung einer vierten Staffel bei der Ausgleichsabgabe heißt es: „Es wird davon ausgegangen, dass die Maßnahme im Ergebnis aufkommensneutral ist.“ Zur Aufhebung der Deckelung beim Budget für Arbeit wird ebenfalls herausgestellt, dass „die Aufhebung der Deckelung beim Budget für Arbeit“ führt bei Ländern bzw. Gemeinden nur zu geringen Mehrkosten mit einem Faktor von 0,6 für die Jahre 2024, 2025 und 2026. Zur Finanzierung der Bundesvertretung der Frauenbeauftragten in Werkstätten stellen die Referenten fest: „Die ausdrückliche Regelung der Finanzierung des Netzwerks der Frauenbeauftragten in Werkstätten für behinderte Menschen auf Bundesebene führt nicht zu zusätzlichem Aufwand für die Kostenträger, weil die Finanzierungspflicht heute schon besteht und die in diesem Gesetz enthaltene Regelung nur der Klarstellung dient.“ Darüber hinaus führt „die Änderung bei der Regelung zur Vorbeschäftigungszeit für das Übergangsgeld (§ 120 SGB III)“, nur, „zu geringfügigen, nicht quantifizierbaren Minderausgaben für Übergangsgeld im Haushalt der Bundesagentur für Arbeit“.

Die Erfüllungsaufwände werden im Referentenentwurf quasi zu einer Nullnummer. So heißt es unter anderem:

  • „Für die Bürgerinnen und Bürger entsteht kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.“
  • „Für die Wirtschaft entsteht kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand.“
  • Außerdem sollen keine „Bürokratiekosten aus Informationspflichten“
    entstehen.

Und zur Verwaltung heißt es lediglich noch im Entwurf: „Es kann ein einmaliger, geringfügiger Erfüllungsaufwand für die Anpassung der EDV-Systeme bestehen.“

KEINE ECHTE REFORM UND ALTERNATIVE FÖRDERUNG OHNE MEHRKOSTEN

Will man eine Reform mit einem neuen Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes erreichen, muss man sich schnell von der Vorstellung verabschieden, sie könne ohne höhere Erfüllungsaufwendungen erfolgen. Zu lange verharrte die bisherige gesetzliche Regelung auf einer Stelle. Zu lange mussten die Menschen mit Behinderungen sich einem nicht mehr der Zeit angepassten Gesetz beugen. Wenn es je zeitgemäß war? Gleichwohl gilt die Aussage aber auch für Arbeitgeber*innen, die gewillt waren, Arbeitsplätze zu schaffen, oft aber ohne Beratungsansätze dastanden. So mancher Wille und so manche Idee scheiterten auch deshalb an Arbeiter*innen-Seite.

Natürlich sind niedrige Investitionen immer wünschenswert, wenn es um Neuerungen geht. Aber eine quasi vorhandenen Nullaufwandsrunde kann und darf man nicht als Erfolg deklarieren. Sondern man muss nach wirklichen Alternativen und Neuerungen schauen, diese erarbeiten und dann auch umsetzen.

Wie hoch der Erfüllungsaufwand auf Grundlage der von mir vorgestellten Alternative zur bisherigen Praxis der Ausgleichsabgabe wäre, kann ich derzeit nicht seriös beziffern. Hierzu müssen umfangreiche Berechnungen erfolgen. Doch die eigentliche Änderung des Systems dürfte erst einmal nicht sehr aufwendig sein. Auch bei der Einführung einer neuen vierten Staffel der bisher erfolgten Ausgleichsabgabe gibt es einen geringen Mehrkostenaufwand. Die Umstellung zu einer prozentualen Staffel für die Ausgleichsabgabe wird nicht mehr Kosten erzeugen.

Die Mehrkosten für weitere Förderungen und Beratungen werden die entscheidenden Faktoren für den Erfüllungsaufwand sein. Dieses müssen am Ende gleichfalls aufgeteilt werden in den jeweiligen Erfüllungsaufwand für Bürger*innen, für die Wirtschaft, für die Bürokratiekosten (Informationspflichten – hier auch dann Beratungspflichten) und für die Verwaltung.

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